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Casita Verde

Nachhaltig leben auf Ibiza funktioniert!

Weitab von allem Rummel der Insel, irgendwo in den Hügeln zwischen Sant Josep und Sant Rafael, ist das Casita Verde. Von außen sehen das Häuschen und das große Grundstück von dem es umgeben ist nett aus. Aber hier gibt es viel mehr zu sehen, als nur eine schöne, etwas alternativ gestaltete Finca.

Plakativ ausgedrückt, wenn sämtliche Verbindungen zwischen Außenwelt und der 5,5 Hektar großen Finca abbrechen, können die Bewohner dort entspannt weiter leben. Im Casita Verde wird an den verschiedensten Aspekten von Ökologie und Nachhaltigkeit gearbeitet. Was genau das bedeutet, erklärt uns Chris Dew, der Gründer des Projektes.

Die Finca – fast ein geschlossener Kreislauf

Als Chris das Gelände 1991 übernahm, war das Haus verlassen und der Boden kaum geeignet, um irgendetwas anzubauen. Da entschloss sich der Engländer den Beweis anzutreten, dass ein nachhaltiges Leben möglich ist. Verbindungen nach außen gibt es nur wenige: Kein Strom, keine Zulieferung von Essen, keine Abwasserentsorgung und der Warenaustausch ist sehr reduziert. Müllabfuhr gibt es nicht, ganz im Gegenteil, manchmal wird scheinbarer Müll auf das Gelände gebracht. Auch eine Wasserleitung sucht man vergebens, das Wasser wird im Wald des Grundstücks gesammelt und in einem großen Tank gespeichert. Im Hochsommer muss noch manchmal mit einer Wasserlieferung von der Außenwelt nachgeholfen werden. Chris sind die Autos der Bewohner ein Dorn im Auge, aber eine Lösung ist in Sicht, bald werden Elektroautos zum Einsatz kommen, die ausschließlich mit auf dem Gelände erzeugtem Solarstrom geladen werden. Das Prinzip ein Ökosystem anzulegen, das dauerhaft ohne Inputs von außen auskommt, wird in der Fachsprache Permakultur genannt.

Upcycling statt Recycling

Als erstes zeigt uns Chris sein neustes Projekt, ein wohnwagenähnliches Konstrukt, das als Schauraum für alternativen Lebensstil dienen wird. Er ist in Bau, aber man kann schon gut erkennen, was entsteht. Noch ist sichtbar, was hier verarbeitet wird: Holzpaletten. Die meisten Güter erreichen auf Paletten gepackt die Insel. Auch wenn auf ihnen ein Pfand ist, die wenigsten Empfänger senden die leeren Paletten zurück, sondern sie werden weggeworfen. Chris zeigt, dass es auch anders geht, aus dem einfachen Versandmaterial Holzpaletten wird ein Schauraum gebaut. Das nennt man Upcycling. Während beim Recycling Stoffe und Gegenstände wiederaufbereitet werden, werden sie beim Upcycling einer höherwertigen Verwendung zugeführt.

Permakulturtechniken zum Anschauen und auch Anfassen

Fäkalien als Wertstoff

Los geht unsere Tour über das Gelände an den WC-Häuschen. Sie wurden aus Dosen gebaut – ein anderes Beispiel für Upcycling. Da sie verputzt sind, sieht man ihnen das allerdings nicht an. Die WC haben keine Wasserspülung, stattdessen kommen Sägespäne zum Einsatz. Weiter geht es entlang des Kreislaufs, zur Rückseite des Häuschens. Dort gelangen die Fäkalien hin. Abwechselnd werden zwei Behältnisse befüllt. Nach drei Monaten Ruhezeit wird der Behälter geleert und der Inhalt auf einen benachbarten Haufen umgelagert. Chris greift beherzt in die Masse und lässt uns riechen. Nichts mehr erinnert daran, dass es Fäkalien sind. Dieses Produkt wird auf den Feldern ausgebracht. Zur Beruhigung, die Gemüsefelder werden mit Pferdemist gedüngt, einfach um mit letzter Sicherheit zu gewährleisten, dass keine auf den Menschen übertragbaren Erreger auf die Lebensmittel gelangen.

Gelände urbar machen

Einfach so Felder anlegen, das geht auf Ibiza nicht. Insbesondere auf dem Gelände des Casita Verde war es schwierig irgendetwas anzubauen, weil der Boden bei Übernahme des Geländes in einem schlechten Zustand war, er bestand aus Steinen und Sand. Der Vorgänger hatte mit viel Dünger versucht, konventionelle Landwirtschaft zu betreiben, aber es rechnete sich einfach nicht mehr, und das obwohl der Grundeigentümer keine Pacht verlangte. Deswegen verlies der Vorgänger das Gelände und es lag für einige Jahre brach. Nun mischt Chris die organischen Produkte aus eigener Herstellung mit dem Sand und erstellt fruchtbare Ackerböden. Das Wasser, das im Wald gesammelt und in einem Tank gespeichert wird, nimmt den Weg über die Dusche auf die Felder und dient dort zur Bewässerung. Es wird über ein ausgeklügeltes System direkt in die Erde nahe der Pflanzen eingeleitet. Einfach so die Felder zu gießen wäre suboptimal, da zu viel Wasser verdunsten würde.

Gebäude umweltfreundlich ausstatten

Nicht nur die zum Bau der Häuser verwendeten Materialien sind besonders nachhaltig. Das Solarzellen auf den Dächern stehen, ist wenig überraschend. Auch im Inneren gibt es einige Besonderheiten. Zum Beispiel die Öfen, die mit Holz befeuert werden. Sie sind so effizient, dass die wenigen Abgase die entstehen, fast kalt sind wenn sie nach außen treten. Die Wärme wird in schweren Steinen gespeichert, sodass sie gleichmäßig abgegeben wird. Auf Ibiza ist Heizen sicher nicht das zentrale Thema, aber auch bei der Kühlung wurde eine umweltfreundliche Alternative zur klassischen Klimaanlage gewählt, es kommt eine passive solare Klimatisierung zum Einsatz.

Casita Verde besuchen

Chris erklärt uns, dass das Casita Verde mehrere Ziele hat. Einmal dient es als Experimentalfeld um neue Dinge auszuprobieren, andererseits dient es aber auch als Demonstrationsobjekt. Ganz wichtig ist natürlich die Wissensvermittlung. Dabei bedient sich Chris eines kleinen Tricks, viele Besucher werden von der schönen Anlage und der Aussicht auf ein günstiges Mittagessen angelockt. Erst einmal dort angekommen, wird die Neugierde geweckt, mehr zu erfahren. Die Innovationskraft und wissenschaftliche Leistung, die auf dem Gelände steckt, ist unglaublich.

Interessierte können sonntags an einer geführten Tour über das Gelände teilnehmen. Mitglieder erhalten besagte Mahlzeit. Mitglied werden ist sehr einfach, Voraussetzung ist die Zahlung eines kleinen Beitrags.

Auch tiefer einsteigen ist möglich. Zum Beispiel kann man für einige Zeit im Casita Verde leben. Das bietet nicht nur die Gelegenheit die Materie zu vertiefen, sondern auch ein Eintauchen in Lebensgefühl und Gemeinschaft ist möglich. Chris berichtet, dass es keinesfalls nur junge Menschen die vor ihrem Berufsleben stehen sind, die kommen, sondern auch gestandene Manager nehmen sich hier eine Auszeit und nutzen den Aufenthalt für eine mentale Neuorientierung.

Und es gibt doch Interaktion mit der Insel

Die geschlossenen ökologischen Kreisläufe sind eine Sache, politisch möchte Chris durchaus mehr als nur auf dem Gelände etwas ändern. Er nennt seinen Ansatz Piratenpolitik, er will nicht langwierig in Gremien arbeiten, um am Ende wenig zu erreichen, sondern er möchte ein gutes Beispiel sein, dem andere folgen. Der 65-jährige Engländer, der 1987 dauerhaft nach Ibiza umzog, legt keinen Wert darauf mit den Ideen und Erkenntnissen reich zu werden. Sein Gehalt und die Mittel für das Projekt kommen hauptsächlich von einer Stiftung, der "Fundación por el futuro". Das markante Logo, ein grünes Herz hat er selbst entworfen. Mittlerweile wird das Logo für das gesamte Green Heart Netzwerk verwendet. Dem Green Heart Netzwerk gehören zahlreiche Projekte in den USA und Europa an.

Chris arbeitete als Funkingenieur auf Hochseeschiffen, später als Installateur für Satellitenanlagen. Seit einigen Jahren widmet er sich ganz seinen ökologischen Projekten. Statt in Rente zu gehen hat er aber neue Vorhaben ins Leben gerufen. Ibiza Fènix ist die Dachorganisation für etwa 14 unabhängige Organisationen. In kleinen Gruppen von manchmal nur drei Personen arbeiten engagierte Menschen an den Aspekten von Nachhaltigkeit wie ökologisches Bauen, verantwortungsvoller Tourismus oder umweltfreundliche Fortbewegung.

Neuerdings hat er auch in Granada einen Ableger des Casita Verdes eingerichtet. Die Ausbildung des Managers dauerte 5 Jahre. Spätestens jetzt wird klar, wieviel Wissen und Expertise in der Anlage steckt.

Was vielleicht bald auf Ibiza schwer in Mode ist

Zum Abschluss gibt es eine kleine Kostprobe der innovativen Speisen und Getränke, die auf der Finca hergestellt werden. Zu Beginn gibt es ein grünes Getränk auf Aloe-Vera-Basis. Chris schwärmt davon, dass das Getränk auch mit Spirituosen, am besten möglichst hochwertigen, gemischt werden und in den Superclubs verkauft werden könnte. Statt für viel Geld Zitronen­limonade zu verkaufen, die niemals mit Zitronen in Berührung gekommen ist, könnte das aus der Wüstenpflanze, der zahlreiche positive Auswirkungen nachgesagt werden, hergestellte Getränk ausgeschenkt werden. Vielleicht das zukünftige Markenzeichen von Ibiza.

Und noch etwas serviert uns Chris, eine vermeintliche Schokopraline. Trotz Aussehens und sehr schokoladenähnlichen Geschmacks, weder Schokolade noch Zucker gehören zu den Bestandteilen. Hauptzutat sind Johannisbrotschoten. Diese Früchte, die auf Johannis­brotbäumen wachsen, im Spanischen Algarrobo genannt, sieht man überall auf der Insel. Chris erklärt, dass es sich nicht mehr lohnt die Früchte aufzusammeln. Sie fallen auf den Boden und verrotten dort. Anderenorts werden sie als Superfood "Carob" gehandelt. Die Vision von Chris ist, dass es für die jungen Ibizenkos wieder attraktiv wird, in der Landwirtschaft zu arbeiten und auf den Feldern zu arbeiten. Die Produkte könnten auf der Insel weiterverarbeitet werden, um schließlich ein ökologisch und geschmacklich hochwertiges Produkt zu einem auch für die Landwirte attraktiven Preis zu verkaufen. Die Produktion möchte er allerdings nicht selbst organisieren, sondern er versucht lokale Produzenten zu begeistern.

Insgesamt dauert unser Besuch bei Chris mehr als drei Stunden und wir haben nur einen Ausschnitt des Ganzen gesehen. Für Ökologieinteressierte, aber auch für an innovativen Techniken Interessierte ist die Anmeldung zu einer Führung sehr empfehlenswert. Alle anderen werden vielleicht trotzdem in Zukunft auf Ibiza ein kleines bisschen Casita Verde erleben, vielleicht ohne es zu merken.

Externer Link: Homepage Casita Verde (in spanisch und englisch).